DIE KULTURTECHNIKER
Kieler Nachrichten // 08.05.2004
Gigant in den Lumpen eines Zirkusclowns
?Die Kulturtechniker" mit elekronischem Musiktheater im Kieler KuIturForum

Von Thomas Richter

Es sind Typen wie Joe Reilly, die durch das New York des Schrift-stellers Paul Auster irrlichtern: ?Da stand er, behangen mit den Lumpen eines Zirkus-clowns ...und doch beharrte er eisern auf seiner Rolle als Mann von Welt..." Dieser John Reilly, den Schauspieler Martin M. Hahnemann ins Gemüt der Zu-schauer im halbvollen Kulturfo-rum gravierte, dieser Night-hawk, stolz und flügellahm zu-gleich, erschien als Sinnbild für das überaus inspirierte und pa-ckende ?elektronische Musik-theater" New York. Berlin. CityLoops, welches das Ensemble Die Kulturtechniker auf Einla-dung der Amerika-Gesellschaft S-H präsentierte. Dramatur-gisch passgenau waren die rezi-tierten und gespielten Texte von Auster, Heiner Müller, Ralf Thenior, Langston Hughes, Ulrich Peltzer oder Martin M. Hahnemann in ein polyphone Klangkonstruktionen eingebettet, für die Ralf Werner verantwortlich zeichnete. Mit Loops und Sam-ples aus dem Rechner und einem elektronisch verstärktem Vio-loncello errichtete der Kompo-nist Metropolen aus Stein, Glas und Metall, aus einsamen, ge-hetzten, und gleichgeschalteten Menschen, aus Lärm und pulsie-render Stille. Wesentliche Un-terstützung erhielt er dabei vom grandiosen Percussionisten Raul Sengupta sowie von der Sängerin Elke Bartholomäus. Impressionistische Videomale-reien von Dirk Groenewold ver-vollständigten das Gesamtkunstwerk.
New York ohne den 11. Sep-tember geht natürlich nicht, und doch war es wohltuend, dass Hahnemann diesbezüglich nur einen expliziten Text ausge-wählt hat: Die Nacherzählung der TV-Übertragung vom 11.September, die Ulrich Peltzer beinahe zwanghaft in seinen Ro-man Bryant Park hineinge-presst hat. Wie kalkuliert wirkte die detailgetreue Schilderung von Geschehnissen, die sich längst unauslöschlich ins kol-lektive Gedächtnis eingebrannt haben, auf eine gespenstische Weise blass und hohl.
Berlin und damit auch Europa nach der Wiedervereinigung widmete sich Heiner Müller in seinem Langgedicht Ajax zum Beispiel. Elektronisch verfrem-det drangen Müllers Anklagen an unsere Ohren. Berlins Wunden bluten anders als die New Yorks. Auch das machte dieser multimediale Abend deutlich. Doch hier wie dort prägen Men-schen den Charakter ihrer Städ-te, lecken ihre Wunden. Men-schen wie Joe Reilly, an den man ein letztes Mal erinnert wird, wenn das Licht ausgeht und auf der Bühne nur noch vier Typen zu sehen sind, die einfach dasitzen und Zigarette rauchen...
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